Toni

 

Anfang Oktober 1999 brachte mir Tonis Mutter ihren 13jährigen Sohn zur Überprüfung einer Lese-Rechtschreib-Schwäche. Wahrscheinlich hatte er während der einstündigen Autofahrt ein wenig geschlafen. Zurückhaltend gab mir Toni die Hand. Während die Mutter und ich noch kurz miteinander sprachen, sah er mich aus seinen großen blauen Augen abwägend an. Toni besuchte damals die 2. Klasse einer Hauptschule. Er war etwa 1,50 Meter groß und schlank und machte einen sportlichen Eindruck; die blonden Haare trug er sehr kurz.

Toni lebte mit seinen Eltern, welche auch heute noch ein sehr interessantes, individuelles Reiseunternehmen führen, und zwei älteren Schwestern in einem Einfamilienhaus in wunderschöner, ländlicher Umgebung. Die Mutter ist Engländerin und der Vater Tiroler, so dass die Kinder zweisprachig aufwuchsen. Nach einer normal verlaufenen Geburt machte Toni alle wichtigen Entwicklungsschritte altersgemäß durch. Einige Zeit lang konnte er das sch“ nicht richtig aussprechen, weil sich die Zunge durch die Zahnreihen schob (siehe auch Clemens‘ Geschichte). Am liebsten spielte der kleine Toni draußen mit den Nachbarskindern. Nach drei Jahren Kindergarten begann er mit 7 Jahren seine Schullaufbahn. Anfangs ging Toni auch recht gerne dorthin, doch änderte sich das, als die ersten Probleme beim Lesen und Schreiben auftauchten und er deshalb mehr üben musste. Es blieb ihm viel weniger Zeit zum Spielen! Um die Ursachen der Lese-Schreib-Schwäche abzuklären, stellten die Eltern ihren Sohn über mehrere Jahre bei verschiedenen Spezialisten vor. Immer wieder wurde er getestet und absolvierte die unterschiedlichsten Trainingsprogramme. Auch in der Schule nahm er jahrelang an zusätzlichen Förderstunden teil. Doch so richtig geholfen hatte das alles nicht, immer nur ein wenig. Dass sich Toni nach all den vielen Tests und der zusätzlichen Arbeit ohne größere Veränderungen jeder weiteren Untersuchung gegenüber ablehnend verhielt, war nicht verwunderlich...

Im Vorgespräch hatte mir die Mutter erzählt, dass Toni nicht sehr ordentlich sei, sich aber sehr gut orientieren könne. Wenn ihn etwas interessiere, könne er länger an einer Sache dran bleiben, jedoch nicht an schriftlichen Arbeiten. Und er möchte immer der Beste sein! Auf Grund seines Alters hatte Toni begonnen sich zu fragen, warum gerade er es mit dem Lesen und Schreiben so schwer hatte.

Als wir allein waren, stellte ich Toni allerlei Fragen und nach und nach verlor er seine Scheu. Er erzählte mir, dass er sehr gerne und viel Sport treiben würde, wie Schwimmen, Inliner und Snowboard fahren, Langlaufen und Eislaufen und dass er 20 Freunde hätte! Sehr gerne würde er auch Karten spielen oder andere Gesellschaftsspiele machen, mit seinem Vater Modellautos und Flieger zusammenbauen und mit der Mutter ins Kino gehen und Radfahren. Und ganz ehrlich sagte er, dass er in der Schule ein kleiner Raufbold sei! Von den Fächern hatte er am liebsten Sport und Mathematik, wo er in der 1. Leistungsgruppe (LG) war. Gegen alles Lesen und Schreiben hatte Toni über die Jahre eine große Abneigung aufgebaut, auch, weil er deswegen in der Volksschule einmal eine Klasse hat wiederholen müssen. Bücher würde er freiwillig nicht lesen, manchmal in Sportmagazinen blättern. Am schwierigsten sei es für ihn, freie Texte zu schreiben und auch in Englisch hätte er ziemliche Probleme beim Schreiben, nicht beim Sprechen.

Toni erzählte etwas weitläufig, aber bildhaft und lebendig und es war ihm anzumerken, dass er Freude daran hatte. Seine Stimme klang hell und klar. „D“ und „t“ und die anderen weichen und harten Konsonanten konnte ich nicht so gut heraushören. Tonis Wortschatz und die Art und Weise sich auszudrücken, waren ausgesprochen gut. Kurz: Er war sprachlich sehr talentiert. Mir war aufgefallen, dass er des Öfteren nervös blinzelte und sich etwas unruhig hin- und her bewegte. Damit Toni mir noch etwas mehr vertraute, erzählte ich ihm auch einiges von mir.

Bevor wir mit der Überprüfung begannen, sagte ich zu ihm: Wir wollen schauen, „wo der Hund begraben liegt“. Er möge gut mitmachen, sich aber nicht übermäßig anstrengen, damit wir der Sache wirklich auf den Grund kämen. Das verstand er sehr gut und so begannen wir.

Im Wahrnehmungsbereich der bildhaften Optik machte Toni interessiert mit. Er zeichnete vier Kärtchen (Optische Figur-Grund-Differenzierung) ab, nicht ganz genau, aber geschickt und mit einer gewissen Verve. Auffällig war der geringe Arbeitsabstand von etwa 10 bis 15 Zentimeter. Mit etwas Hilfe fand er aus einem Suchbild die optischen Fehler heraus und ordnete die Kärtchen richtig zu und beim Memory spielen konnte er sich gut erinnern. Im akustischen Bereich verhielt es sich anders. Besonders schwer fiel es Toni, Reimendes von Ungereimtem zu unterscheiden (differenziertes Hören). Von zehn möglichen Wörtern zu einem Thema konnte er sich nur vier merken (Serie von Wörtern); einen kleinen Vierzeiler konnte er sich ebenfalls nicht gut merken (akustisches Gedächtnis). Diese Aufgaben strengten Toni sehr an, was sich in einer größeren körperlichen Unruhe ausdrückte und dass er danach mehrmals gähnen musste. Bei seriellen und intermodalen Bewegungsübungen zeigten sich nur leichte Unsicherheiten.

Als es ans Lesen ging, konnte ich seine große Abneigung fast greifen. Zunächst las ich ihm das Gedicht „Der römische Brunnen“ von Conrad Ferdinand Meyer vor, wobei er mitlesen konnte. Danach las er es noch einmal leise für sich und dann laut vor. Unruhig rutschte Toni auf dem Stuhl hin und her. Er veränderte Wörter, ohne es zu bemerken, ließ Endungen weg und vertauschte Buchstabenfolgen. Er atmete nur flach und an den „falschen“ Stellen, die Interpunktion beachtete er nicht und am Ende hatte er den Inhalt nur teilweise verstanden. Als ich ihn bat die Augen zu schließen währenddessen ich ihm das Gedicht vortrug, bemerkte ich, wie er lächelte. Als ich ihn danach fragte antwortete er, er hätte den römischen Brunnen gesehen! Was er selbst dazu sagt, lesen Sie bitte im Interview, Frage 6. Weiteres finden Sie bei Ronald Davis und in Annas Geschichte.

Nach der Abschrift bestätigte die Ansage die bereits im akustischen Wahrnehmungsbereich gemachten Beobachtungen. Toni war sehr unsicher und gestresst; er hatte feuchte Hände, atmete schnell und flach und die Füße bewegten sich unruhig unter dem Tisch. Es unterliefen ihm besonders akustische Fehler, aber er schrieb z. B. auch Bächlein nicht richtig (Bechlein), welches er aus dem Wort Bach hätte ableiten können. Solche und andere Rechtschreibstrategien fehlten ihm. Die Zeilen- und Wortabstände waren sehr eng, was deutlich auf die flache Brustatmung hinwies. Man sagt auch „Die Schrift atmet nicht“, und sie hatte sich noch nicht individualisiert. Als die „Tortur“ vorüber war, schnaufte Toni tief durch und freute sich auf das Rechnen. Da konnte er zeigen, dass es etwas gab, was er gut konnte! Die Ergebnisse waren dann auch sehr gut, nur beim Bruchrechnen wusste er die Regeln nicht. Weil das aber bei fast allen Kindern so ist, glaube ich, dass es in der Schule zu wenig vertiefend geübt wird.

Wenige Tage später besprach ich mit der Mutter die Ergebnisse der Überprüfung und meine mögliche Vorgehensweise. Toni hatte über lange Zeit zumeist im Symptombereich, also direkt beim Lesen und Schreiben, zusätzlich gearbeitet. Doch hatte das alles nur wenig gebracht, weil nicht an den Ursachen angesetzt worden war, was sich vergleichen lässt mit einem Zahnarzt, der einen Zahn behandelt, aber eigentlich eine Wurzelbehandlung durchführen müsste. Und weil die „Erfolge“ so gering waren und die Benotung sich kaum verändert hatte, hatte Toni so etwas wie eine Barrikade aufgebaut. Dazu kam, dass er sich auf dem Weg in die Pubertät befand. In diesem aufregenden Alter wird Soziales immer wichtiger und Schulisches verliert an Bedeutung. Zum Glück entsprach Tonis biologisches Alter nicht seinem Entwicklungsalter, welches ich damals auf etwa 12 Jahre schätzte.

Unter Berücksichtigung dieser Vorbedingungen wollte ich stark bei seinen Talenten ansetzen – große Bewegungs- und Spielfreude, gute Sprachkompetenz und zeichnerisches Talent – um so mit ihm an grundlegenden Fähigkeiten arbeiten zu können, welche waren: Aufmerksamkeit und Konzentration, akustischer Wahrnehmungsbereich, optische Differenzierung, seriell-strukturierende Buchstaben- und Wortarbeit und intermodaler Bereich . Zum Beispiel ist eine Ansage ist eine sehr komplexe intermodale Leistung, bei der Hören, Sehen, Wissen, Können und Verstehen miteinander verbunden werden müssen.

Dieser Ansatz gefiel der Mutter und so kam Toni acht Monate vom 8. November 1999 bis Ende Juni 2000 einmal in der Woche zu mir. Zwischen den Stunden machte er nach einem vorgegebenen Trainingsplan verschiedene Übungen.

Weil mir die akustische Differenzierung sehr aufgefallen war, hatte ich der Mutter empfohlen, die zentrale Hörverarbeitung überprüfen zu lassen. Die Untersuchung ergab, dass organisch alles in Ordnung war, so dass ich das Training in diesem Bereich mit gutem Gewissen fortsetzen konnte. Dass Toni so dicht mit den Augen über dem Papier war, wollte ich zunächst noch etwas beobachten. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, dass ein Therapeut seine Kompetenzen nicht überschreitet. Wenn etwas besonders auffällig ist, sollte er den Eltern empfehlen, einen Spezialisten aufzusuchen. Dieser kann, möglichst noch vor Trainingsbeginn, abklären, ob organisch alles in Ordnung ist oder ob vorher noch etwas anderes mit dem Kind gemacht werden muss. Das betrifft vor allem auch das Sehen! Doch sollten derartige Untersuchungen nach und nach und nicht auf einmal angegangen werden.

Zunächst erlernte Toni eine Reihe von Aufmerksamkeits- und Entspannungsübungen, die er dann auch zu Hause machen sollte. Eine davon ist der Liegende Achter, durch den die Hand-Auge-Koordination trainiert wird und der helfen kann, das Gesichtsfeld zu vergrößern. Anfangs verirrte sich Toni im Kreuzungspunkt der Acht öfter in der Richtung und seine Augen glitten von dem zu bewegenden Gegenstand ab. Die akustische Differenzierung übten wir längere Zeit mit dem Trainingsmaterial des EÖDL. Jedoch wird bei allen Sprachübungen das Hören durch das Selbersprechen besonders geübt, dazu das rhythmische Gefühl und die klare, konturierte Aussprache. Außerdem wird das akustische Gedächtnis und bei manchen Sprüchen verstärkt die akustische Serialität angesprochen, z. B. bei „Der deutsche Dampfer Dora“. Und noch dazu sind die meisten Sprüche sehr spaßig. Hier konnte ich Toni in seinem Element erleben! Es war eine Freude für mich zu beobachten, wie sich seine Hör- und Sprachfähigkeit und später seine Lese- und Schreibkompetenz (auch) durch diese Sprüche verbesserte.

Im optischen Bereich spiegelte Toni Kreuzl und Linien von links nach rechts und malte zu Hause Mandalas mit Buntstiften und Wasserfarben aus. Später entwarf er mit Zirkel und Lineal eigene Kreisteilungen, die er mir freudig und stolz herzeigte. Vor Lese- und Schreibübungen malte Toni sehr gerne und ausdauernd mit einem farbigen Bienenwachs-Stift den Liegenden Achter auf ein großes Blatt Papier. Dabei stand er fest und sicher auf den Füßen und bewegte sich schwungvoll mit dem ganzen Körper in alle Richtungen, wobei die Augen das Geschehen gut begleiteten. Es entstand eine fast meditativ zu nennende Stimmung, in die er tief eintauchte. Wie auch andere Varianten des liegenden Achters befreit diese Übung von innerer und äußerer Anspannung und wirkt sehr harmonisierend. Im Interview, Frage 7, sagt Toni etwas dazu. Im Verlaufe unserer Arbeit machte er noch andere Zeichenübungen, die überwiegend dazu beitrugen sein Sehvermögen zu schulen, aber auch das Formgefühl, das Farbempfinden, die Genauigkeit und die Ausdauer.

Die Buchstaben-Überkreuz-Übung (BÜÜ) sollte Toni helfen, sich neu mit Buchstaben und Wörtern zu verbinden. Anfangs unterschätzte er sie und wollte schnell zum Ergebnis kommen. Doch anstatt des Sprichwortes kam „Buchstabensalat“ heraus. Darüber staunte er und wollte die gleiche Übung noch einmal machen. Toni mochte die BÜÜ nicht besonders. Doch hat er gerade dadurch gelernt, strukturiert vorzugehen und immer wiederkehrende Abläufe geduldig auszuführen, was man ja beim Lesen und Schreiben und natürlich überhaupt im Leben immer wieder tun muss. Das Wörterspiel mit den kleinen Kärtchen, auf denen symbolisch Tiere und Gegenstände abgebildet waren, machte ihm mehr Freude. Die Karten lagen verdeckt, jeder zog eine und es bekam derjenige das Pärchen, dessen Wort „länger“ war, also mehr Silben hatte. Das Wort wurde silbenmäßig laut gesprochen und dazu geklatscht; Sieger war der mit den meisten Pärchen. Schon bald sagte ich Toni, der oft gewann und sich darüber freute, die „gewonnen Wörter“ an, die er zumeist fehlerfrei aufschrieb. Solche spielerischen Schreib- und Leseübungen waren für den Anfang genau das Richtige. Da sich Toni beim Schreiben immer wieder tief über das Blatt hinunterbeugte und es irgendwie angestrengt aussah, bat ich die Mutter, eine Sehanalyse durchführen zu lassen. Es wurde u.a. eine leichte Winkelfehlsichtigkeit festgestellt, die durch eine Prismenbrille ausgeglichen werden konnte. Weil er kein Kopfweh mehr hatte und besser sehen konnte, trug Toni die Brille anfangs recht gerne. Später vergaß er des Öfteren, sie aufzusetzen und irgendwann fragte ich nicht mehr nach. Wahrscheinlich waren die Probleme nicht groß genug…

Zum Stundenverlauf: Dass Toni weiter weg wohnte und von seiner Mutter stets mit dem Auto gebracht und wieder geholt werden musste – er kam montags gleich nach der Schule – hatte ich schon erwähnt. Es ist wirklich bewundernswert, wie gut das immer geklappt hat! Da Toni an den Wochenenden sehr viel Sport trieb, schlief er zumeist während der Autofahrt und weil er noch nicht ganz fertig war, verlief der Stundenanfang oft etwas schwerfällig. Erst nach der „Denkmütze“ und ausgiebigen Bewegungsübungen war Toni dann fürs Lesen und Schreiben wach und aufmerksam genug.

Im Verlaufe unserer Arbeit „verschwanden“ Übungen und neue kamen dazu, so das Jonglieren und serielle und rhythmische Bewegungsübungen, z. B. ABC vorwärts und rückwärts. Es blieben die Atem- und Entspannungsübungen und verschiedene Sprach- und Zeichenübungen, wie der Liegende Achter. Toni konnte mit Tüchern und später mit Bällen sehr schnell jonglieren, doch mit Bewegungsabläufen verbunden mit Zahlen, hatte er es etwas schwerer. Die Hüpfübungen auf dem Trampolin forderten ihn ebenfalls heraus, doch weil er bewegungsfreudig war, gelangen sie ihm bald besser.

Toni entwirrte Wortschlangen, die ich ihm anschließend diktierte, er visualisierte Wörter, die er in einer Kartei ablegte, und er lernte die „Kontrollhilfe“  kennen, mit deren Hilfe er selbstständig an der Verbesserung seiner Rechtschreibung arbeiten konnte

Im Verlauf der acht Monate tauschten sich Tonis Mutter und ich mehrmals über die Entwicklung und die Leistungen ihres Sohnes aus. Beim ersten Gespräch nach sechs Wochen erzählte sie mir von Tonis großem Wunsch. Wie sein Vater wollte er nach der Hauptschule eine Höhere Technische Lehranstalt (HTL) besuchen. Deshalb hatte er begonnen, mit der älteren Schwester die Rechtschreibregeln zu lernen! Toni hatte mir gegenüber die HTL einmal kurz erwähnt, woraus ich aber nicht schließen konnte, wie stark sein Motiv wirklich war. Insgesamt erlebte die Mutter ein Hoch bei ihrem Sohn. In Mathematik, 1. Leistungsgruppe, und auch in anderen Fächern, besonders in Sachkunde, würde er gut mitmachen und gute Noten nach Hause bringen. Sie zeigte sich mit dem Training zufrieden und hoffte, dass sich durch den weiteren Verlauf Tonis Leistungen in Deutsch und Englisch soweit verbessern würden, dass er an die HTL würde wechseln können.

Es sah ganz so aus, als sei Toni auf dem richtigen Weg. Es ging ihm gut; er lernte für die Schule und zusätzlich mit seiner Schwester, er kam einmal in der Woche zu mir und machte dazwischen seine Übungen, und das alles, weil er ein starkes Motiv hatte! Etwas Besseres kann es gar nicht geben!

Wenn sich Kinder wohl fühlen, dann wollen sie lernen, weil sie neugierig sind; das liegt in ihrer Natur. Deshalb achte ich zuallererst auf die gesunde Entwicklung des Leiblichen und des Seelisch-Geistigen. Dem stehen Lehrmethoden des vergangenen 20. Jahrhunderts entgegen mit der zumeist typischen Notenbewertung und Pädagogen, die mit Kindern, welche über ein besonderes Talent verfügen, wie z. B. in Bildern denken, nichts oder nur wenig anfangen können (siehe Annas Geschichte). Solche Kinder werden als „anders“ erlebt und sie selbst erleben sich dann auch so, so wie es Toni im Interview, Frage 1, formuliert: „a bissl abnormal“. Seelisch wohl können sich diese Kinder unter solchen Bedingungen kaum fühlen und wenn da nicht Eltern, Geschwister, Großeltern, Verwandte und Freunde der Familie wären, die das Kind „auffangen“ und alles dafür tun, dass es so gut wie möglich „durch die Schule kommt“, dann würde es ganz schön schlecht um sie bestellt sein, auch 2012 noch. Kinder, die durch meine Begleitung ihre grundlegenden Fähigkeiten weiterentwickeln konnten, haben darauf aufbauend auch in der Schule beim Lesen, Schreiben und Rechnen den Anschluss finden können. Zuerst aber muss es dem Kind gut gehen, und dann kann es zeigen, was in ihm steckt! Und noch eine Anmerkung: Jede therapeutisch ausgerichtete Arbeit wirkt nach, d.h. die „Früchte“ zeigen sich durchaus erst nach längerer Zeit, oft sogar erst nach Abschluss der Arbeit.

Vor dem abschließenden Entwicklungsgespräch mit der Mutter hatte ich Toni in unserer letzten, der 24. Stunde, gefragt, wie er unsere Arbeit erlebt hätte. Gut gefallen hatten ihm die Sprachübungen, weil sie spaßig waren, die Mandalas, weil sie ihn beruhigten und das Zeichnen von Spiegelungen. Weniger gerne mochte er die BÜÜ, weil er sie als schwierig erlebte, und auch das laute Lesen, was er nach wie vor innerlich ablehnte (Die Barriere war etwas durchlässiger geworden, aber noch immer da). Beim Schreiben hatte er sich verbessert; die Schrift war flüssiger und er (dadurch) schneller geworden. Neuerdings würde er Mathematikaufgaben nur schwer verstehen und auch mit den Begriffen nicht so richtig zurechtkommen. Darüber war er etwas besorgt.

Die Mutter stimmte mit mir überein, dass sich Toni insgesamt gut entwickelt hatte. Bei allen grundlegenden Fähigkeiten hatte er gute Fortschritte gemacht und sein Selbstvertrauen war gewachsen, was sich auch in Deutsch durch gute Noten ausdrückte. Nur das Lesen sei nach wie vor problematisch. Er hätte zwar begonnen Zeitschriften und Dinge im Fernsehen zu lesen, aber Bücher lehnte er immer noch ab. Wir fragten uns, wie man ihn dazu motivieren könne. Abschließend bemerkte sie noch, dass Toni viel ordentlicher geworden sei, was sie vor allem bei der Schultasche beobachtet hätte. Darüber freute ich mich besonders, weil dies ein Teilergebnis der strukturgebenden Übungen war! Wir  vereinbarten, dass Toni auch im kommenden Schuljahr zu mir kommen sollte, zum einen, um weiter an seiner Lese- und Schreibkompetenz und zum andern, um an dem von ihm genannten mathematischen Verständnis von Textaufgaben zu arbeiten.

Anfang September 2000 kam der 14 jährige Toni zur neuen ersten Stunde. In den großen Ferien war er sportlich viel unterwegs gewesen und sehr gewachsen, so dass er mich nun an Größe übertraf. Freudig erzählte Toni, dass er in der 3. Klasse Hauptschule in Mathematik in der 1. LG geblieben sei und sich für Deutsch vorgenommen hatte, von der 3. in die 2. LG hochgestuft zu werden, mit dem Ziel, am Ende eine Zwei oder eine Drei zu bekommen, denn er wollte unbedingt an die HTL!

Durch einen Wiederholungstest hatte ich bemerkt, dass Tonis Seitigkeit bzw. Körperdominanz etwas labil war; er hatte einige Male die rechte mit der linken Körperseite verwechselt. Insgesamt erschien er mir etwas instabil und unruhig. Nur mühsam konnte er das ABC vorwärts und rückwärts aufsagen, was ihm im vorhergehenden Schuljahr schon leichter gefallen war (serielles Problem). Die akustische Differenzierung, Gereimtes und Ungereimtes voneinander unterscheiden, hatte sich durch unsere Übungen sehr verbessert, die akustische Serialität und das Gedächtnis auch; doch gab es dort noch einiges zu tun. Im optisch-bildhaften Bereich zeichnete Toni rasch und flüchtig, irgendwie schnell über die Dinge hinweg, so dass die Ergebnisse ungenau ausfielen. Schreiben und lesen mochte Toni nach wie vor nicht (angespannt, flache Atmung). Beim Abschreiben hatte sich einiges verbessert, denn bis auf drei fehlende i-Punkte war alles richtig! Bei der Ansage machte Toni nun überwiegend Regelfehler, wovon er einige bei der Kontrolle selbst entdeckte. Beim Lesen konnte ich kaum Fortschritte erkennen. Das Mond-Sonne-Bild zeigte, dass die Farbneigung vertauscht war – der blaue Mond befand sich auf der rechten und die rote Sonne auf der linken Seite, groß und locker und mittig auf dem Blatt.

Vom 21.09. bis zum 15.12.2000 kam Toni in drei Monaten siebenmal zu mir, wobei die Abstände zwischen den Stunden zwei und einmal sogar drei Wochen betrugen. Der Fokus unserer Arbeit lag diesmal auf dem Verstehen und Durchdringen von Textaufgaben sowie dem Umgehen mit lateinischen Begriffen. Die Aufmerksamkeits- und Entspannungsübungen waren nach wie vor sehr wichtig für ihn und auch die Sprachübungen behielten wir bei. Dominanz und Konzentration stärkende Bewegungsübungen kamen neu dazu, ebenso eine Aquarellmalübung für die Richtigstellung der Farbneigung und eine Zeichenübung für die optische Genauigkeit. Rhythmische Klatsch- und Zählübungen sollten sich verstärkt auf die Verbesserung des beweglichen, lebendigen Denkens auswirken. Im letzten, ruhigen Teil der Stunden rechneten wir. Zu Beginn fiel es Toni in der Tat schwer, aus etwas komplexeren Aufgabenstellungen die richtigen Rechenwege und Operationen herauszufinden. Das Rechnen selber war dann kein Problem.

Zu Hause machte Toni die Entspannungs- und Aufmerksamkeitsübungen, zeichnete für die Verbesserung der optischen Genauigkeit verschieden linierte Kärtchen ab und arbeitete neben „freiwilligen“ Leseübungen weiter an seiner Wortkartei.

Mitte November erzählte er mir, er hätte in einer Mathematikarbeit eine Drei geschrieben, worüber er sich natürlich sehr freute und ich auch! Zwei Wochen später trug Toni seinen linken Arm in Gips, den er sich beim Motocross gebrochen hatte. So konnte er die meisten Bewegungsübungen nicht oder nur Varianten davon machen, doch hatten wir etwas mehr Zeit zum Rechnen.

Nach drei Wochen sollten wir uns dann zum letzten Mal sehen. Warum? Der 14tägige Abstand zwischen den Stunden hatte sich als zu lang erwiesen und Tonis Motivation zu mir zu kommen war gegen Null gegangen. Die Übungen zwischen den Stunden hatte er nur noch selten gemacht.

In der Schule fühlte sich Toni zu dieser Zeit sehr wohl und kam überall gut mit. So beendeten wir unsere Arbeit am 15. Dezember 2000 nach insgesamt 14 Monaten. Toni hatte sich gut entwickelt und stabilisiert. In den Wahrnehmungsbereichen waren die Fortschritte deutlicher als im Leistungsbereich.

Beim abschließenden Gespräch konnten die Mutter und ich alles noch einmal genauer betrachten.

Sie ergänzte, dass auch die Lehrer mit ihrem Sohn recht zufrieden seien; in Mathematik und auch in Deutsch würde er zwischen 3 und 4 stehen.

Wenige Tage später sandte ich den Eltern einen schriftlichen Abschlussbericht über die Entwicklung ihres Sohnes zu mit Empfehlungen zur Fortsetzung der begonnenen Arbeit.

Im Sommer 2002 erhielt ich von Tonis Mutter Post mit dem Zeugnis des vergangenen Schuljahres. Toni hatte in Deutsch in der 2. Leistungsgruppe (LG) ein „Befriedigend“ bekommen, ebenso in Mathematik in der 1. LG und in Englisch in der 2. LG sogar ein „Gut“! Außer in Musik, „Befriedigend“, hatte er in allen anderen Fächern ein „Gut“ oder „Sehr gut“! Tonis Mutter war sehr froh darüber und betrachtete die Benotung als Erfolg unserer gemeinsamen Anstrengungen. Toni hatte sein Ziel, in Deutsch in der 2. LG eine „Drei“ zu bekommen, erreicht. Damit war der Besuch der HTL zum Greifen nah!

Als wir uns 11 Jahre später am 2. Januar 2012 trafen, drückte Toni mir kräftig die Hand. 26 Jahre alt, groß, schlank und sehr sportlich, lächelte er mich an. Lesen Sie nun, was er auf die Fragen antwortete.

Interview mit Toni am 02.01.2012

 

Bärbel Kahn I Hallo, Toni, gut siehst du aus. Wollen wir gleich anfangen, was meinst du?

  1. Du bist mit 7 Jahren eingeschult worden. Wolltest du gerne zur Schule gehen? Woran kannst du dich erinnern?

Toni I Zur Schule bin ich gern gangen, eigentlich. Der erste Schultag ist bei mir sehr positiv in Erinnerung, ich war relativ unbefangen, ja hab mich drauf gefreut, im Großen und Ganzen. Ja, natürlich die Schultüte! Das war der Grund, warum  ich in die Schule gehen wollt, also einer der Gründe natürlich, warum viele Kinder in die Schule gehen wollen...Also, ich hab da kein negatives Ereignis, das ist dann erst später kommen a bissl, wie dann irgendwie die Eltern in die Schule kommen sein und so Sachen. Wo man dann so mitgekriegt hat, dass man so a bissl abnormal ist oder von der Norm abweicht. Das war dann so a bissl was Negatives, aber ich muss auch sagen, die ganzen Schulkollegen und die Lehrer und so, ich glaub, ich hab da ziemlich Glück gehabt, im Großen und Ganzen, ja.

  1. Als du damals zu mir zur Überprüfung kamst, hattest ja schon einige Untersuchungen über dich ergehen lassen müssen. Wie hast du dich gefühlt, kannst du dich daran erinnern?

T I Ich hab mir gedacht: Ja, eben schon wieder wer, der da was über mich sagt, und schon wieder irgendwie meine Eltern mich dahin zerren zu irgendwem. War also nicht unbedingt positiv, aber eigentlich das Klima da bei dir war auf jeden Fall angenehmer, als bei denen davor. Ja, ich hab mich schon a bissl wie ausgeliefert gefühlt, da muss man halt hin. Als 13jähriger hat man ja nicht viel Auswahl, wenn die Eltern das sagen, dann ist das halt so. Aber positiver als bei denen zuvor, auf alle Fälle.

BK I Bei unserem ersten Gespräch sagtest du, du glaubst mit Mathe würde es dir ganz gut gehen, lesen wäre auch nicht so schlimm, aber schreiben schon. Am schwierigsten sei das Schreiben freier Texte.

  1. Wie ging es dir am Abend, wenn du wusstest, ihr würdet am andern Tag ein Diktat oder einen Aufsatz schreiben? Konntest du gut ein- und durchschlafen?

T I Also, da bin ich ganz schmerzfrei. Das ist auch heut noch so. Wenn ich eine Prüfung hab, denk ich beim Einschlafen: Ja, hast morgen eine Prüfung! Über irgendwelche Konsequenzen denk ich nicht weiter nach. Bin da relativ sorgenfrei, immer schon gewesen. Ich denk halt: Ja, morgen ist der Test und ich mach das, was ich kann.

BK I Als ich dich nach deinen Freunden fragte, sagtest du mir, du hättest 20. Das sind ja wirklich sehr viele.

  1. Was glaubst du, warum bist du mit so vielen Kindern so gut ausgekommen?

T I Weil mein Umfeld mir das, glaub ich, ganz gut ermöglicht hat. Meine Eltern haben mir sehr viel Freiraum geben und waren sehr tolerant, hat sicher auch mit der Vorarbeit meiner Schwestern zu tun. Ich hab immer Freunde mit nach Hause nehmen können. Ich hab auch übernachten können bei anderen oder umgekehrt. Das war nie irgendwie Thema, dass ich in Bezug auf Freunde irgendwas nicht machen durfte. Es war immer gern gesehen, dass ich Kontakt zu anderen Kindern hab. Und ich bin halt auch sehr, sehr, denke ich, offen und unvoreingenommen gegenüber anderen Menschen und deshalb glaub ich auch, dass es vielleicht einfacher ist, Kontakt zu knüpfen.

BK I Toni, du bist ein sehr sportlicher Typ, schon immer gewesen. Mit Inlinern oder dem Radl fahren, Skaten, Rafting, Klettern, Windsurfen, Schwimmen, Langlaufen, Eislaufen – das waren deine damaligen Aktivitäten. Außerdem sollst du ein kleiner Raufbold gewesen sein… Sehr gerne hast du auch mit Karten oder mit deinem Vater mit Modellautos bzw. -fliegern gespielt.

  1. Wie viel Zeit hast du neben deinen Lieblingsbeschäftigungen für die Schule aufgewendet?

T I Ja, das stand eindeutig im Vordergrund, der Bewegungsdrang oder mit Freunden irgendwas zu machen, ist immer an erster Stelle gestanden. Am Anfang war das Schulegehen noch interessant – das Alphabet lernen, das Einmaleins und alles. Aber als das dann in Arbeit ausgeartet ist, haben sich meine Interessen stark auf Außerschulisches verlagert. Es war irgendwie immer schon so, ist jetzt auch noch so, dass man im Verhältnis dazu… Man sucht einfach immer mehr nach Freizeitaktivitäten; ist  auch a bissl a gesellschaftliche Sach, glaub ich. Vor allem in Tirol hat das einen hohen Stellenwert; die Freizeit ist ganz wichtig für viele Leut. Ja, in dieser Hinsicht bin ich ein richtiger Tiroler.

BK I Bei der Überprüfung hast du das Gedicht „Der römische Brunnen“ von Conrad Ferdinand Meyer vorgelesen. Als ich bemerkte, dass du den Sinn nicht erfasst hattest, weil du mit dem eigentlichen Lesen zu sehr beschäftigt warst, las ich dir das Gedicht vor und bat dich, währenddessen die Augen zu schließen. Du sagtest danach, du hättest den Brunnen gesehen! Das war für mich der „Beweis“, dass du ein wirklicher Legastheniker bist, denn sie sehen und denken vorwiegend in Bildern und haben oft ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen.

  1. Was kannst du dazu sagen? Denkst du immer noch in Bildern, wenn du etwas vorgelesen bekommst oder auch selber liest? Liest du überhaupt und wenn ja, was?

T I Es ist bei mir immer noch so oder damals ganz stark so, dass ich eben in Bildern gedacht hab. Ich weiß auch nicht, das war einfach das Natürlichste für mich, das so zu tun, mir vorzustellen, wie das ausschaut. Wenn ich was vorgelesen bekommen hab, ja, dann hab ich versucht mir vorzustellen, wie das aussieht. Und das hab ich dann auch „übernommen“, wenn ich selber les. Und ich glaub, das mach ich jetzt immer noch oft so, vielleicht nimmer so stark oder nicht so durchgehend wie als Kind. Ich kann nicht genau erklären, wie das abläuft, ganz schnell geht das teilweise… Jetzt les ich hauptsächlich für die Uni was, selten, dass ich irgendwelche Bücher les. Kommt schon vor, ist aber nicht die Regel, vielleicht ein oder zwei Bücher im Jahr; Zeitschriften les ich öfter, aber eben für die Uni ganz viel. Und da hilft mir das Denken in Bildern ganz viel, weil ich Diagramme, Grafiken oder irgendwelche technische Darstellungen gut mit dem Text verbinden kann. Das fällt mir ganz leicht, ja, das ist was, was ich sehr gern mag! Das find ich auch spannend, so Sachen, Theorien auf irgendwelche Grafiken umzulegen.

  1. An welche Übungen kannst du dich eigentlich noch erinnern? Hat dir irgendetwas besonderen Spaß gemacht? Warum?

T I Konkret kann ich mich an das Jonglieren, das Achtermalen und das Formenzeichnen erinnern und eben besonders Spaß hat das Jonglieren gemacht, weil ich mich einfach gern beweg. Und halt auch diese Fortschritte, die man da gesehn hat beim Achter-Malen.

  1. Wie hast du die täglich zu machenden Übungen von einer Stunde zur nächsten erlebt?

T I Die Übungen hab ich als Arbeit gesehn, ganz klar. Aber sicher nicht so negativ oder positiver als die Übungen davor bei den anderen Therapeuten, eben dadurch, dass viel Bewegung dabei war und der Liegende Achter und Malen (Mandalas). Für mich persönlich war es gut, weil ich so ein Typ (Bewegungstyp) war und noch immer bin. Gern gemacht hab ichs aber nicht! Ich hab sowas noch nie gern gemacht. Das war immer irgendwas: Ha, das muss ich jetzt machen, weil ich irgendwie so abnormal bin. Wie a Strafarbeit ist mir das vorkommen. Aber ja, ich habs dann schon eingesehen und halt gemacht…

  1. Was fällt dir auf, wenn du dein Geschriebenes anschaust, das vom 5.10.1999 und das vom 7.09.2000? Und wie schreibst du heute?

T I Mein Schriftbild, habs grade angeschaut, hat sich während der Besuche bei dir verändert; da sieht man einen deutlichen Unterschied. Es ist ein bissl entspannter, hat man den Eindruck, die Buchstaben sind runder und es sieht regelmäßiger aus. Hängt vielleicht auch etwas mit dem Vertrauen zusammen, das wir aufgebaut hatten zueinander. Heute das Schriftbild, ja, wie‘s heute ist, ist schon anders. Leise, etwas staunend, sagt Toni zu sich: Dass ich immer noch die Zeilenabstände auf einem leeren Blatt so gut einhalt… Meine Schrift hat sich geändert von Schreib- in Druckschrift. Als ich beim Zivildienst war, hat man die Protokolle immer in Druckschrift ausfüllen müssen bzw. sollen, und da hab ich das irgendwie beibehalten. Aber ich glaub, so im Großen und Ganzen, schreib ich gleich wie damals und nicht ganz so ordentlich, wie manch anderer vielleicht. Bemerkung: Tonis heutige Schrift ist sehr gut zu lesen. Er hat sein Licht etwas unter den Scheffel gestellt.

BK I Insgesamt bist du vom 8. November 1999 bis 15.12.2000 31 mal zu mir gekommen. Ohne die Sommerferien zwischen der 2. und 3. Klasse Hauptschule ist das ein ganzes Jahr.

  1. Wie ging es für dich danach weiter? Und was machst du jetzt?

T I Von der Hauptschule in der Höhere Technische Lehranstalt (HTL) war eine schwierige Umstellung auf jeden Fall! Man hat sich sehr viel selbst erarbeiten müssen und die Art und Weise, wie unterrichtet worden ist, war komplett anders. Das fand ich aber sehr spannend und das hat mich sehr neugierig und auch ehrgeizig gemacht. Aber ich hab schon meine Schwierigkeiten gehabt, ganz sicher, in Deutsch und Englisch. Bei den ganzen mündlichen Sachen, da kann ich die Leut so viel „manipulieren“ und ablenken, dass sie mein fachlichen Wissen a bissl davon ableiten; das hat ganz gut funktioniert bisher. Das Betriebswirtschaftsstudium hat bis jetzt keine größeren Hürden gehabt. Es ist irgendwie alles a bissl einfacher, find ich, als in der HTL, weil man halt Sachen lernt, die einen interessieren und sich das aussuchen kann. Ja, sicher gibt’s Sachen, die einen überhaupt nicht interessieren, die total fad sein, so wie Buchhaltung und so, aber, ja, es funktioniert alles und geht halbwegs gut. Privat: Ich hab eine Freundin schon seit sechs Jahren und bin immer noch glücklich und verliebt und das passt alles super. Und Familie, ja, jetzt die Feiertage waren sehr anstrengend für mich. Das ist immer heftig, wenn das Haus voll Besuch ist; 11 Leute waren da und das ist dann wirklich zach! (Wir lachen beide.) Aber war sehr spannend... Meine Eltern haben ein eigenes Unternehmen und sind da a bissl zurückgetreten. Ich werd da vielleicht mehr in den Vordergrund treten; das ist so das Ziel. Schaun wir mal, wie sich das entwickelt. Und anderes: Ich bin immer noch sehr viel draußen am Weg, viel beim Sportln, bin auch bei der Bergrettung und mach da derzeit die Ausbildung, bin Anwärter. Hab die Prüfung letztes Jahr gemacht und bin jetzt bei den Kursen dabei und mach die Ausbildung fertig. Ja, im Großen und Ganzen, eigentlich eine insgesamt gute Zeit bis jetzt!

  1. Wie gehst du vor, wenn du eine Arbeit fehlerfrei abgeben musst? Schaffst du es alleine oder lässt du dir helfen?

T I Zuerst les ich mirs ein paar Mal durch, dann kontrollier mit dem Computer und je nachdem, wie wichtig mir das ist, lass ichs von jemand anderem durchlesen, von der Freundin, einem Studienkollegen oder auch von den Eltern. Die Bachelorarbeit später werd ich sicher kontrollieren lassen. Aber Hauptsache, erst selber! So kleine Arbeiten, da hab ich ein relativ gutes Selbstvertrauen. Wenn ich mich aktiv auf das konzentrier und damit auseinandersetz, dann funktioniert das, dann krieg ich das schon irgendwie hin. Aber wenn ich in der Uni halt irgendwas mitschreib und mehrere Sachen gleichzeitig mach, dann wirds fehleranfälliger

  1. Was wartet auf dich, wenn du dein Studium sicherlich erfolgreich abgeschlossen hast?

T I 2014/2015, also in drei bis vier Jahren, werde ich aller Voraussicht nach das Studium abgeschlossen haben. Ich hab gedacht, dass es danach nicht schlecht wär, wenn ich vielleicht zuerst woanders arbeiten würd, also nicht im Betrieb meiner Eltern. Ich denk, dass man da so was wie Betriebsblindheit vermeiden kann, dass man mal andere Herangehensweisen kennenlernen kann. Danach würd es mich auf jeden Fall extrem interessieren, in den Familienbetrieb einzusteigen, weil es ein extrem spannendes Gebiet ist und man viel mit Menschen zu tun hat. Man versucht eine Dienstleistung zu verkaufen, die sehr variabel ist und ganz individuell auf den Kunden zugeschnitten wird. Das ist so spannend! Da kann man so viel machen! Ja, das wär mal so der Plan. Wie sich das dann entwickeln wird, werden wir sehen.

  1. Toni, was glaubst du, welche besonderen Talente hast du? Was kannst du vielleicht besser, als andere Menschen, die du kennst?

T I Ich würde sagen, sobald es um etwas Neues geht, bin ich sicherlich überdurchschnittliche motiviert, sei es im Sport oder an der Uni, egal! Ich bin sehr offen gegenüber anderen Menschen und versuche niemanden vorschnell zu verurteilen. Mathematik ist auch eines der Dinge, die mir schon immer leicht gefallen sind. Aber das, was ich am allerbesten kann ist, wie man so schön im Tirolerischen sagt, „bled dahear redn!“ Bemerkung: Toni meint damit wirklich sein Sprachtalent!

  1. Würdest du dich in etwa 10 Jahren, du bist dann 36 Jahre alt, erneut von mir befragen lassen?

T I Ja, gerne, weil ich selbst davon profitiert und viel hab mitnehmen können. Und wenn ich das in irgendeiner Form weitergeben kann, dann trag ich gerne dazu bei.

BK I Toni, ich freue mich, dass du dich so toll entwickelt hast! Ich danke dir für das Interview und

wünsche dir für die Zukunft alles Gute. Ich denke, wir verlieren uns nicht aus den Augen!

Danke, Toni!

 

Schlussbemerkung

Toni hat sich in den vergangenen 11 Jahren ordentlich „gemausert“. Selbstbewusst, innere Ruhe ausstrahlend, die Zukunft im Blick und in guten sozialen Zusammenhängen – bei ihm stimmen inneres und äußeres Bild zusammen, wodurch er sehr authentisch wirkt. Man nimmt ihm ab, was er sagt, es ist glaubwürdig. Und dass er sein Studium erfolgreich abschließen wird, um später das Familienunternehmen fortzuführen, ist für mich keine Frage. Das ist ein starkes Motiv, genau wie damals, als er die Höhere Technische Lehranstalt besuchen wollte. Toni hat sein Leben in die Hand genommen und ich glaube, dass er es genauso empfindet.

 

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